1913 fertigte der französische Künstler Marcel Duchamp (1887–1968) die ersten Skizzen für die heute als Grosses Glas bekannte Arbeit La Mariée mise à nu par ses célibataires, même (1915–1923), und in seinem Atelier in Paris entstand in jenem Jahr mit Roue de bicyclette (1913) das erste Readymade und die erste bewegliche Skulptur der westlichen Kunst.1 Zu Beginn jenes Jahres, am Abend des 17. Februar 1913, wurde in New York die Armory Show eröffnet, eine Ausstellung internationaler moderner Kunst, organisiert von der Association of American Painters and Sculptors. Marcel Duchamp war darin mit vier Arbeiten vertreten: Le Roi et la reine entourés des nus vites (1912), Portrait de joueurs d'échecs (1911), Nu descendant un escalier (1912) und Nu (1912).2 Die Ausstellung ermöglichte einem breiteren Publikum die Begegnung mit der US-amerikanischen und europäischen Avantgarde, insbesondere mit dem in den Vereinigten Staaten noch kaum bekannten Kubismus. Die europäischen Künstler wurden auf dem Ausstellungsplakat als Gäste bezeichnet, einige wenige auch namentlich erwähnt. Duchamps Name fehlte auf der Ankündigung. Der französische Künstler, dessen im Jahr zuvor gemaltes Gemälde Nu descendant un escalier nicht nur wegen der Malerei, sondern vor allem aufgrund des Titels viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen und öffentliche Debatten sowie auch Spott ausgelöst hatte, zählte zu den unbekannteren unter den jungen europäischen Teilnehmern. Selbst seine beiden auf der Armory Show ebenfalls vertretenen Brüder Raymond Duchamp-Villon und Jacques Villon waren damals bekannter und erfolgreicher als er. Während Henri Matisse auf Ablehnung stiess, weil das amerikanische Publikum seine Malerei als aggressiv und hässlich empfand, drängten sich die Besucher vor Duchamps rätselhaftem Gemälde mit dem verführerischen Titel.


Am 2. März 1913, wenige Tage nach der Eröffnung, erschien in der „Illustrierten Rundschau“ des Hamburger Fremdenblatts ein kurzer Artikel des Hamburger Kunsthistorikers und Kulturwissenschaftlers Aby Warburg (1866–1929) mit dem Titel „Luftschiff und Tauchboot in der mittelalterlichen Vorstellungswelt“.3 Warburg schreibt über zwei grosse flandrische Bildteppiche aus dem 15. Jahrhundert, die, wie er vermutet, kurz nach ihrer Entstehung aus dem Norden Europas nach Italien gelangt seien. Die beiden Teppiche schildern Szenen aus dem Leben Alexanders des Grossen. Warburg interessiert vor allem, auf welche Weise sie dies tun. Er nennt mögliche Quellen und zitiert insbesondere aus einer Handschrift von Jean Wauquelin. Es handelt sich dabei um eine Bearbeitung des antiken Alexandermythos, die jener Hofschreiber im 15. Jahrhundert für den burgundischen Herzog Philipp den Guten anfertigte. In seiner Untersuchung eines der Teppiche schildert Warburg, wie sich Darstellungen von modernsten Belagerungsmethoden sowie von zeitgenössischer Kleidung, wie sie damals am burgundischen Hof getragen wurde, mit dem antiken Stoff von der Himmelfahrt Alexanders in einem von vier Greifen gezogenen Metallgehäuse und seinem Tauchversuch in einem gläsernen Fass verbinden. Die gelehrte und doch zugleich unakademische Interpretation berücksichtigt neben der literarischen Quelle den damaligen Forschungsstand zur Kunst-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Renaissance. Warburg beurteilt die Bildteppiche aus dem Palazzo Doria-Pamphili in Rom als „inhaltreiches Dokument zur Entwicklungsgeschichte der historischen Weltanschauung im Zeitalter der Wiedererweckung des klassischen Altertums in Westeuropa“.4 Er erkennt den Willen, sich im Norden der antiken Grösse zu erinnern und folgert, dass die von ihm so genannte burgundische Antike – die Epoche, in der Wauquelin für den Hof arbeitete – einen „wesentlichen und eigenartigen Anteil hat an der Erzeugung des modernen, auf die Beherrschung der Welt gerichteten Menschen“.5



Ein deutscher Gelehrter der italienischen Frührenaissance


Aby Warburg, der aus einer jüdischen Bankiersfamilie stammte, lebte als Privatgelehrter in Hamburg und baute ab 1905 die Warburg-Bibliothek für Kulturwissenschaft auf, deren Ausbau und Tätigkeit die Familie Zeit seines Lebens finanzierte.6 Hamburg verfügte damals mit der Hamburger Kunsthalle über ein Kunstmuseum, aber bis 1919 nicht über eine eigene Universität. Kurz vor Kriegsbeginn trug Warburg sich mit dem Gedanken, die Warburg-Bibliothek in ein Institut zu transformieren. Am 27. Dezember 1915 hielt er in seinem Haus vor einer kleinen Gruppe von Kunsthistorikern aus Berlin einen Vortrag, in dem er diese mit dem Projekt bekannt machte. In den Vortragsnotizen finden sich dafür Bezeichnungen wie „Institut für Ausdruckskunde“ oder „Institut für methodische Grenzerweiterung“.7 Erst 1925/26, nachdem er mehrere Jahre im Sanatorium Ludwig Binswangers in Kreuzlingen (Schweiz) verbracht hatte, liess Warburg angrenzend an sein Wohnhaus, in welchem die Büchersammlung bis zu diesem Zeitpunkt untergebracht war, nach Bauplänen des Architekten Gerhard Langmaack die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg (K.B.W.) errichten. Es entstand ein modernes, technisch hervorragend ausgestattetes Bibliotheksgebäude mit Hörsaal, in das Warburg seinen umfangreichen Bestand an Büchern, der damals bereits auf nahezu 50 000 Bände angewachsen war, sowie Dokumente und Fotografien überführte und der wissenschaftlichen Forschung zugänglich machte. Schon während seiner langen Abwesenheit, als auf Wunsch der Familie sein Mitarbeiter Fritz Saxl (1890–1948) die Leitung der Bibliothek übernommen hatte, waren eine Vortrags- und eine Publikationsreihe ins Leben gerufen worden. Nach seiner Rückkehr begann Warburg 1924 mit der Zusammenstellung der Bilder für den Mnemosyne Bilderatlas, ein Buchprojekt, in dem er die Summe seiner Forschungsarbeit ziehen wollte.


Studiert hatte Warburg in Bonn Kunstgeschichte, Geschichte und Archäologie. Nachdem der dort lehrende Kunsthistoriker Carl Justi es ablehnte, seine Dissertation zu betreuen, promovierte er 1892 in Strassburg bei Hubert Janitschek mit der Arbeit „Sandro Botticellis ‚Geburt der Venus’ und ‚Frühling’. Eine Untersuchung über die Vorstellungen von der Antike in der italienischen Frührenaissance“. Bis 1902 sollte Warburg immer wieder längere Zeit in Florenz verbringen. 1895 reiste er in die USA, zunächst an die Ostküste, danach an die Westküste und nach New Mexico, wo er sich länger bei den Hopi aufhielt und dabei deren Alltag fotografisch dokumentierte. In den folgenden Jahren bis Kriegsbeginn und seinem psychischen Zusammenbruch konzentrierte er sich auf die Büchersammlung, bildungspolitische Fragen in Hamburg und seine eigene wissenschaftliche Arbeit, die ausserhalb des kleinen Kreises der universitären Kunsthistoriker kaum wahrgenommen wurde. Warburg war zu diesem Zeitpunkt noch nicht der Bildwissenschaftler, als den wir ihn heute wahrnehmen, sondern ein grossbürgerlicher deutscher Gelehrter, der sich vornehmlich der italienischen Kunst der Renaissance widmete.



Warburg und Duchamp


Die beiden flandrischen Bildteppiche, welche Warburg 1913 in seinem Beitrag für das Hamburger Fremdenblatt bespricht, waren ihm 1912 während des X. Internationalen Kongresses für Kunstgeschichte in Rom bei einem Empfang im Palazzo Doria-Pamphili aufgefallen. Auf diesem Kongress, den er mitorganisiert hatte, hielt er einen Vortrag über „Italienische Kunst und internationale Astrologie im Palazzo Schifanoia zu Ferrara“ und führte darin aus, was er unter einer „ikonologischen Analyse“ verstand, „die sich durch grenzpolizeiliche Befangenheit weder davon abschrecken lässt, Antike, Mittelalter und Neuzeit als zusammenhängende Epoche anzusehen, noch davon, die Werke freiester und angewandtester Kunst als gleichberechtigte Dokumente des Ausdrucks zu befragen“.8 Die Frage, der er nachging, lautete: „Was bedeutet der Einfluss der Antike für die künstlerische Kultur der Frührenaissance?“9 Seine eigene Epoche, die Moderne, untersuchte Warburg im Hinblick auf das Nachleben der Antike erst in den letzten Lebensjahren in seinem 1924 bis 1929 entwickelten, aber unvollendet gebliebenen Mnemosyne Bilderatlas, doch latent vorhanden war sie schon in seinen frühen Arbeiten. So beendet er seinen Essay „Luftschiff und Tauchboot in der mittelalterlichen Vorstellungswelt“, der sich wie erwähnt mit dem Wiederaufleben des Alexandermythos am burgundischen Hof befasst, mit einem überraschenden Hinweis auf die moderne Luftfahrt: „Mir scheint es gar nicht so ‚lögenhaft to vertellen’, wenn man dem modernen Aviatiker, der das ‚aktuelle’ Problem des Motorkühlers studiert, verrät, dass sein geistiger Stammbaum über Karl den Kühnen, der mit feuchten Schwämmen die glühenden Füsse seiner himmelstürmenden Greifen zu kühlen versuchte, in direkter Luftlinie hinaufreicht bis zum ‚grand Alixandre’.“10


Wie eingangs erwähnt, haben Warburgs Aufsatz und Duchamps erstes Readymade dasselbe Entstehungsjahr. Ob Warburg Werke von Duchamp kannte, wissen wir nicht. Als Kunsthistoriker befasste er sich damals mit dem Wirken der Antike bis in die Renaissance, war als Privatmann mit der neueren und neuesten Kunst aber durchaus vertraut. So interessierte er sich beispielsweise 1907 für ein Gemälde von Wilhelm Leibl, wie aus einem entsprechenden Angebot der Galerie von Paul Cassirer vom 12. Januar hervorgeht.11 In der wissenschaftlichen Arbeit finden sich Reflexionen über die moderne Kunst erst in den späten Jahren, als er sich für seinen Bilderatlas mit Édouard Manets Le Déjeuner sur l’herbe (1863) befasste. Aus Briefen Warburgs ist überliefert, dass er 1910 die Ausstellung bei Paul Cassirer in Berlin mit Werken Manets aus der Sammlung Auguste Pellerin und 1928 die Manet-Ausstellung in der Galerie Matthiesen in Berlin besucht hatte.12 Am 1. Juli 1912 schrieb er einen Brief an die Geschäftsstelle der von Herwarth Walden 1910 gegründeten Zeitschrift Der Sturm. Walden hatte in seiner gleichnamigen Berliner Galerie vom 12. April bis 31. Mai 1912 eine Ausstellung mit den italienischen Futuristen Umberto Boccioni, Carlo D. Carrà, Luigi Russolo und Gino Severini veranstaltet. Anschliessend zeigte er die Futuristen auch ausserhalb der Berliner Galerie, so im Juli 1912 in Hamburg. Auf diese Ausstellung bezog sich Warburg in seiner an die Organisatoren gerichteten Kritik: „Als Kunsthistoriker, der sich für die Probleme der Futuristen sehr interessiert, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass die äussere Ausstattung der hiesigen Ausstellung auch nicht den einfachsten Anforderungen genügt, und es dadurch dem Publikum sehr erschwert wird, die richtige Stellung zu finden. Man hat sich nicht einmal die Mühe gegeben, die grösseren Bilder sinngemäss aufzuhängen: sie stehen einfach auf dem Boden und, was das Schlimmste ist, eine abscheuliche, schmutzig-gelbe Tapete, die hart mit den grünpapiernen Sockeln zusammenstösst, gibt den Kunstwerken nicht einmal einen neutralen Hintergrund. Es ist sehr zu bedauern, dass man nach dieser Richtung auf das hamburgische Publikum die nötigste Rücksicht nicht genommen hat.“13 Als im Hamburger Fremdenblatt 1917 ein Artikel erschien, in dem die künstlerische Moderne pauschal abgelehnt wird, wandte sich Warburg schriftlich an Felix von Eckardt, den Chefredakteur, und forderte „Respekt vor denen, die nach dem fernen, unsichtbaren Ziel streben“.14 Diese beiden Briefstellen sind nicht nur deshalb von Bedeutung, weil sie bezeugen, dass Warburg über das aktuelle Kunstschaffen informiert war und Ausstellungen zeitgenössischer Kunst besuchte, sondern vor allem auch, weil er zum Ausdruck bringt, dass ihn neben den Werken selbst auch deren Präsentationsform interessierte.


Aby Warburg und Marcel Duchamp thematisierten die ästhetische Autonomie des Kunstwerks aus entgegengesetzten Richtungen – der eine als Kunsthistoriker, der andere als Künstler.15 Mit dem Namen Marcel Duchamp verbinden wir heute eine künstlerische Strategie, mit der Künstler Gegenstände, Ideen und Handlungen unter den Bedingungen des Museums dekontextualisieren. Warburg hingegen löste das Kunstwerk aus dem musealen Umfeld und stellte es unter Rückgriff auf das gesamte ihm zugängliche Wissen in einen neuen Kontext. Er war überzeugt, dass jedes bedeutende Kunstwerk nicht nur Ausdruck der vom Künstler beabsichtigten Form und Erzählung ist, sondern auch Träger individueller und gesamtkultureller, anthropologischer Muster. Es war diese Ambivalenz, die ihn an Kunstwerken faszinierte. So wollte er in einer seiner bekanntesten Analogien in der Fotografie einer Golfspielerin das Nachleben einer Kopfjägerin erkennen.16 Für eine Kultur, die einem linearen Zeit- und Geschichtsverständnis verpflichtet war, stellte diese Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ein Problem dar.


Dies war die kulturelle Disposition, aus der in der Moderne historische Kunstwerke in Europa befragt und von Künstlern neue Werke geschaffen wurden. 



Szeemann und Warburg


Harald Szeemann las Aby Warburg, Erwin Panofsky und Fritz Saxl in den späten 1950er-Jahren in Paris, als er in der Bibliothèque Nationale an seiner Dissertation arbeitete.17 Er dürfte schon während seines Studiums an der Universität Bern durch seinen Lehrer Hans R. Hahnloser (1899–1974) mit Warburg in Berührung gekommen sein. Hahnloser hatte 1926 in Wien bei Julius von Schlosser (1866–1938) über Villard de Honnecourt promoviert. 1934 publizierte er das als „Gotisches Bauhüttenbuch“ bekannt gewordene Skizzenbuch von Villard de Honnecourt aus dem frühen 13. Jahrhundert und machte die Handschrift damit einem breiteren Fachpublikum zugänglich.18 Es ist eines der seltenen Quellenwerke zur gotischen Baupraxis und enthält Architekturzeichnungen und Darstellungen von Bautechniken und Werkzeugen. Julius von Schlosser, mit dem Hahnloser bis zu dessen Tod verbunden blieb, war mit den Arbeiten des Hamburger Kollegen Warburg vertraut. Beide interessierten sich weniger für eine formale Stilgeschichte, wie sie ihr Schweizer Kollege Heinrich Wölfflin in Forschung und Lehre vertrat, sondern verstanden die Kunstgeschichte als eine kulturgeschichtliche, mit Quellenkunde befasste Disziplin. Im hier diskutierten Zusammenhang bemerkenswert ist weiter, dass von Schlosser schon 1908 mit der Schrift Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance: ein Beitrag zur Geschichte des Sammelwesens eine frühe museologische Arbeit vorlegte und in seiner Geschichte der Porträtbildnerei in Wachs (1911) die magische Wirkung von Bildnissen verstorbener Monarchen untersuchte. Wie der gleichaltrige Warburg ging er damit Fragen nach, die damals noch ausserhalb des eigentlichen Untersuchungsfeldes der Kunstgeschichte lagen. Warburgs Doktorvater Hubert Janitschek und auch Fritz Saxl gehörten der Wiener Schule der Kunstgeschichte an, deren Leitfigur damals Julius von Schlosser war.


Im Vorwort zu den 1932 erschienenen gesammelten Schriften Warburgs hebt die Herausgeberin Gertrud Bing (1892–1964) treffend hervor, dass ihm daran gelegen war, „die Isolierung des Kunstwerkes, in die es durch eine ästhetisch-formale Betrachtung gebracht zu werden drohte, zu überwinden, und die gegenseitige Ergänzung von bildhaftem und literarischem Dokument, die Beziehung des Künstlers zum Besteller, die Verbundenheit des Kunstwerks mit seiner sozialen Umgebung und seinem praktischen Zweck am Einzelobjekt zu untersuchen.“19 Warburg habe nicht nur „die Produkte der großen Kunst, sondern auch entlegenere und ästhetisch irrelevante Bilddokumente in die Betrachtung“ einbezogen.20 Dieser Ansatz, Kunstgeschichte als Sozial- und Kulturgeschichte zu verstehen, verbindet die durch von Schlosser geprägte kunsthistorische Schule mit jener von Warburg und bestimmte auch die Arbeit Szeemanns als Kurator von Beginn an. Schon in der Kunsthalle Bern zeigte er neben Einzel- und Gruppenausstellungen thematische Ausstellungen, die, wie beispielsweise Science Fiction (1967), in die Randbereiche der Kunst und darüber hinaus führten. Als Szeemann 1970 zum Generalsekretär der documenta 5 gewählt wurde, konzipierte er mit seinem Kuratorenteam eine Ausstellung, welche sich nicht wie die vorangegangenen Veranstaltungen auf das Präsentieren von Kunst beschränkte, sondern die im Sinne des „erweiterten Kunstbegriffs“, den die aktuelle Szene einforderte, die visuelle Kultur als Ganze thematisierte. Seine kulturgeschichtlichen Ausstellungen wiederum entfalteten und veranschaulichten ihre Thesen anhand von Kunstwerken ohne Rücksicht auf deren Stellung im Kanon der Kunstgeschichte und waren genau deshalb erfrischend, einzigartig und in vielen Fällen für die weitere Diskussion einer Thematik auch prägend. Dies gilt besonders für Junggesellenmaschinen / Les Machines Célibataires (1975), Monte Verità / Berg der Wahrheit (1978) und Der Hang zum Gesamtkunstwerk. Europäische Utopien seit 1800 (1983). Selbst reine Kunstaustellungen, die keine übergeordnete kulturgeschichtliche Thematik verfolgten, inszenierte Szeemann manchmal so, dass das visuelle Zusammenspiel der verschiedenen Werke im Raum die Wahrnehmung bestimmte, und zwar so, dass zugleich das einzelne Kunstwerk in seiner spezifischen Erscheinungsform sichtbar und erfahrbar blieb. Die Reihe von Skulpturenausstellungen, die 1985 mit Spuren, Skulpturen und Monumente ihrer präzisen Reise im Kunsthaus Zürich ihren Anfang nahm, zählt zu diesem Ausstellungstyp.


Als Szeemann 1988 nach vielen Jahren kuratorischer Arbeit im eigenen Namen, ohne musealen Auftrag, eingeladen wurde, eine Ausstellung im Museum Boymans-van Beuningen in Rotterdam aus dessen Sammlungen zu kuratieren, rief er im Katalog sein Museum der Obsessionen in Erinnerung. Dieses habe stets dafür plädiert, „dass die Angst vor Grenzüberschreitungen im vertikalen, kompartimentierten Geschichtsdenken überwunden werde durch eine manifeste Kunstgeschichte der Einfühlung in die intensiven Intentionen der Werke aller Zeiten in Form von Visualisierungen ahistorischer Dimensionen“.21 Das Museum der Obsessionen war seiner Bestimmung nach kein kunsthistorisches Museum – weder Bildersammlung noch physischer Ort wie das Museum, aus dessen Sammlungen er in Rotterdam eine Auswahl für eine temporäre Ausstellung treffen sollte. Wie das Gesamtkunstwerk war das Museum der Obsessionen eine Denkfigur, eine spekulative Idee im Sinne der ’Pataphysik Alfred Jarrys. Methodologisch dem Bilderatlas von Warburg vielleicht nicht unähnlich, sollte es alles repräsentieren und musste deshalb als „Versuch, in der Intention und ihrer Intensität jegliche Dialektik aufzuheben“, unrealisiert bleiben.22 Das Ausstellungsprojekt in Rotterdam war Anlass, über Kunstgeschichte im Kunstmuseum nachzudenken. Szeemann schreibt, er „bewundere die Strukturanalyse eines Sedlmayr und die Ikonologie eines Panofsky in Bezug auf die Werkauslotung an Ort, die die emotionellen und inhaltlichen Reichtümer historischer Kunstwerke ins Bewußtsein brachten, Teil des kollektiven Wissens um Kunstschöpfung in und aus der spezifischen Zeit wurden und somit neue Kategorien der Bewertung schufen. Der heute mit den Werken im Raum Arbeitende aber ist stets allein mit seiner eigenen Sensibilität: auch ein historisches Bild ist für ihn heutiger Sender oder lediglich Dokument.“23 Für sein Gastspiel mit Werken aus den hauseigenen Sammlungen wählte Szeemann den Titel a-Historische klanken / a-Historical Soundings.24 Zu sehen waren Kunstwerke, Möbel und Design aus verschiedenen Epochen. Die Ausstellung handelte im ersten Saal von „der Verwirrung der Geister, dem lebendigen Appell an das Kreative im Menschen, dem Leiden und dem Tod“, im zweiten von „der wundersamen Stille der Leere und der Monochromie“ sowie im dritten und letzten Raum von „der Sakralisierung des scheinbar Indifferenten“.25 Szeemann wählte für jeden Raum eine zeitgenössische Skulptur, die jeweils den Impuls für die weitere Werkauswahl gab. Es waren dies Grond (1980/81) von Joseph Beuys, Buffet (1984/85) von Imi Knoebel und Studio Piece (1979) von Bruce Nauman. Im Sinne des „erweiterten Ausstellungsbegriffs“ verzichtete er auf Skulpturen, die „keine weiteren Kunstwerke neben sich zulassen, weil sie den Raum total beanspruchen“.26 Im Kern ging es um Fragen der Intervalle innerhalb der Ausstellung, somit um räumliche und inhaltliche Distanz zwischen den Werken mit dem Ziel eines Gesamtbildes, das dem Besucher eine synchrone Wahrnehmung von Werken aus unterschiedlichen Epochen ermöglichte.27 


Die Forschung Warburgs interessiert mich im Hinblick auf Szeemann als Praxis. Lesen wir Warburg mit Szeemann, dann zeigen sich bei der Arbeitsorganisation und im methodischen Vorgehen überraschende Gemeinsamkeiten. Beide haben in Form von Bibliotheken und Archiven materialisierte Gedächtnisse hinterlassen, aus deren Beständen sie ihre Arbeitsvorhaben entwickelten. Die Kunstwissenschaftliche Bibliothek Warburg und die Agentur für geistige Gastarbeit waren Archive zu Leben und Werk der beiden Initiatoren, geprägt durch ihre Interessen und jeweilige (narzisstische) Persönlichkeit. Alles, was durch ihre Hände ging, jede Notiz und jeder Briefentwurf, wurde darin aufbewahrt. Die Sammlungen umfassten Bücher und Fotografien, Archivalien wie Manuskripte und Korrespondenz, bei Szeemann auch Kunstwerke und Devotionalien. Warburg ordnete Bücher nicht alphabetisch, sondern inhaltlich nach dem „Gesetz der guten Nachbarschaft“,28 ein Prinzip, das auch nach 1933 beibehalten wurde, als das Institut, durch den Nationalsozialismus in seiner Existenz bedroht, von Hamburg nach London verlegt worden war. Auch das Ordnungssystem im Archiv Szeemanns beruhte nicht auf dem Alphabet, mit Ausnahme vor allem der Künstlerkataloge, sondern gruppierte Archivalien und Bücher nach Themen und Projekten. Für Warburg war ein Kunstwerk nicht nur Ausdruck künstlerischen Talents und schöpferischer Kraft, sondern zugleich auch Medium, in dem sich Bilder wie „Geister“, ohne eigenes Dazutun zeigen konnten. Warburg war Bildhistoriker. Er interessierte sich für Prozesse der Transformation und der Migration, denen Bilder nicht nur unterliegen, sondern die von ihnen auch in Gang gehalten werden. Den Begriff „Pathosformel“, der in diesem Zusammenhang Verwendung findet, prägte Warburg 1905 für eine, wie John M. Krois festhält, sich laufend erneuernde „bildliche Darstellungsform von einem gesteigerten Gefühlsausdruck“.29 Die Pathosformel Warburgs, aber auch das Museum der Obsessionen Szeemanns sind komplexe Gedankengebilde, die es ermöglichen, Geschichte pro forma aufzulösen, um die ausgewählten Objekte für die synchrone Betrachtung und den Vergleich in einem Buch oder einer Ausstellung auf eine Ebene zu holen.



Gegen die müde Form


Aby Warburg kehrte 1896, im Jahr der Uraufführung von Alfred Jarrys Ubu Roi in Paris, von einer neunmonatigen Reise durch die Vereinigten Staaten nach Hamburg zurück. An diese Reise und insbesondere an die Begegnung mit der Pueblo-Kultur sollte er sich gegen Ende seines Sanatoriums-Aufenthalts in Kreuzlingen 1923 erinnern, als er dem Arzt vorschlug, zum Beweis seiner Genesung und als Schlüssel für seine Entlassung aus der Klinik einen mit eigenen Fotografien illustrierten Diavortrag über seine lange zurückliegende Reise und die währenddessen unternommene Feldforschung zu halten. 1896 war Warburg 30 Jahre alt, seine Promotion lag vier Jahre zurück. Er hatte wenig publiziert, zuletzt 1895 in einer italienischen Übersetzung den Aufsatz „Die Theaterkostüme für die Intermedien von 1589“, der die Quellen zur künstlerischen, theatralisch-musikalischen Ausgestaltung der Hochzeitsfeier von Ferdinand I. de' Medici, Grossherzog der Toskana, mit Christine von Lothringen in Florenz auswertete. 1897 verfasste er den Reisebericht „Eine Reise durch das Gebiet der Pueblo-Indianer in Neu-Mexiko und Arizona“, den er als Diavortrag mehrfach präsentierte. Dieses Thema nahm er in Kreuzlingen wieder auf, und in dem Zusammenhang entstanden weitere Vortragsmanuskripte, die viel später in der Publikation seiner als Schlangenritual. Ein Reisebericht (1988) bekannt gewordenen Erinnerungen an die Begegnung mit der Pueblo-Kultur versammelt wurden. Im Jahr des ersten Reiseberichts verfasste er auch die Besprechung „Amerikanische Chap-Books“, die in der Zeitschrift Pan erschien.30 Die so bezeichneten billigen, von jungen Schriftstellern und Künstlern produzierten Lesehefte, die damals in den Vereinigten Staaten in Mode kamen, enthielten keine populären Stoffe, sondern spiegelten auf humorvolle Weise die Literatur, Kunst und Grafik des europäischen Fin de Siècle und des Symbolismus. Die Qualität eines dieser Hefte, The Lark, hebt Warburg in seiner Kritik besonders hervor. Da er sich stets, nicht nur in seinen Forschungen zur italienischen Frührenaissance, für konfliktäre Zielbeziehungen innerhalb der Kunst interessierte, betrachtete er die Chapbooks wie Symptome des Widerstandes der amerikanischen Frühmoderne „gegen die fin de siècle Pose selbstgefälliger Müdigkeit“.31 Es ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch, dass Warburg die Frauendarstellungen der Kunst der Jahrhundertwende in seinen Schriften nie untersucht hat. Was ihn an bestimmten Frauenfiguren in der Kunst der Frührenaissance faszinierte, das „bewegte Beiwerk“, die flatternden Gewänder und das wilde Haar, erschien in der Kunst des ausgehenden 19. Jahrhunderts, etwa bei Toulouse-Lautrec, als ornamentale, zivilisierte, müde Form und nicht wie in der Frührenaissance als Ausdruck gesteigerter Bewegung.32



Der Mnemosyne Bilderatlas


Nach seiner Heimkehr aus Kreuzlingen begann Warburg 1924 mit Fritz Saxl und Gertrud Bing am Bilderatlas zu arbeiten, seinem unvollendeten Buchprojekt, das er im Medium der Ausstellung vorbereitete. Er verwendete knapp 1000 Abbildungen aus seiner Sammlung – neben Fotografien von Kunstwerken waren dies auch Zeitungsausschnitte und Illustrationen aus Drucksachen –, um Konstellationen zu erproben, in denen Bilder im Dialog oder im Konflikt mit anderen Bildern erfahrbar wurden. Er veranschaulichte dabei nicht nur die Ergebnisse seiner kulturgeschichtlichen Recherchen, sondern versuchte vielmehr, in Bildern zu denken. Die Bilder wurden provisorisch auf mobile, mit Stoff bezogene Tafeln geheftet, die somit veränderbare, bearbeitbare Felder bildeten, die er für sein Archiv einzeln fotografieren liess. Im Tagebuch der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg bezeichnet er seine Methode in einem Eintrag vom 17. Juli 1927 als „combinatorisches Verfahren“.33 Thomas Hensel spricht vom Bilderatlas als „Generator performativer Bildakte“.34 Nach Warburgs Tod haben vor allem Gertrud Bing und Ernst Gombrich (1909–2001) an der Edition dieser „Time Capsule“ gearbeitet, ohne den Bilderatlas zur Druckreife zu bringen. Warburg hatte den Atlas als ein Konvolut von Schwarz-Weiss-Fotografien nummerierter Tafeln hinterlassen. Es gibt unterschiedliche Versionen, keine Fassung letzter Hand, dazu viele Notizen und Entwürfe für Begleittexte. Erst 1993 wurden die Tafeln in einer Rekonstruktion, wiederum im Medium der Ausstellung, erstmals veröffentlicht.35 Als Publikation liegt der Atlas seit dem Jahr 2000 in einer von Martin Warnke und Claudia Brink besorgten Edition der Originalfotografien aus dem Warburg Institute in London innerhalb der Gesammelten Schriften vor.36 2016 zeigte das ZKM / Karlsruhe eine weitere Ausstellung des Bilderatlas, die von der Forschungsgruppe Mnemosyne / 8. Salon aus Hamburg realisiert wurde. Die Gruppe hatte in jahrelanger Arbeit alle 63 rekonstruierbaren Tafeln kommentiert und in der Heftreihe Baustelle (2012–2016) publiziert. Axel Heil und Roberto Ohrt, die für die Ausstellung in Karlsruhe verantwortlich zeichneten, verstehen den Atlas als Versuch, die Konfliktgeschichte der Frührenaissance zu entfalten und zu verstehen.37


Die Publikation des Bilderatlas hat die öffentliche Wahrnehmung von Warburg verändert. 1994, als der rekonstruierte Atlas erstmals auch in Hamburg im Kunsthaus als Ausstellung zu sehen war, hielt Werner Hofmann eine Eröffnungsansprache, in der er darauf hinwies, dass das Publikum „in die Werkstatt eines Ausstellungsmachers“ blicke.38 Die Entdeckung, dass Warburg im Medium der Ausstellung an seinen Forschungen arbeitete, Bilderreihen zusammenstellte und Ausstellungsformate verwendete, um Vorträge zu halten, veränderte die Rezeption seiner Arbeit und evozierte Fragen nach seiner Methode. Ihn implizit einen Ausstellungsmacher zu nennen, war folgerichtig, doch Hinweise darauf, dass Warburg sich mit dem Ausstellen als Metier befasst hätte, gibt es keine. Das Zusammenstellen von Reproduktionen war eine Methode, über Bilder, deren Sinn und deren Wirkung nachzudenken. Sichtbar wurde die Brückenfunktion einzelner Werke, ihre Stellung innerhalb der Tradition, sichtbar wurden aber auch Risse in der Überlieferung oder Transformationen. Von dieser intensiven Arbeit berichtete Warburg, wenn er in seinen letzten Lebensjahren in Briefen auf den Atlas zu sprechen kam. In einem Brief Fritz Saxl vom 11. Februar 1929 aus Rom heisst es: „Ich sitze nun hier im Wohnzimmer, nachdem ich für die ganze Ausstellung Platz geschaffen habe, und bin willens, das ganze Bildmaterial einer vorläufigen Gesamtredaktion zu unterziehen. Da Sie die ‚Mnemosyne’ in Hamburg haben, soll Ihnen Ende dieser Woche die sehr gut geratene Photographie der in der Hertziana gezeigten Tafeln zugehen, mit Randbemerkungen und zur weiteren Ausgestaltung.“39 Seiner Frau, Mary Warburg, schreibt er am 10. Mai 1929 aus dem Excelsior Hotel in Neapel, wo er sich mit Gertrud Bing aufhielt, nach Hamburg: „Wir haben uns hier, trotz der Aussicht auf den Golf, schon ein sehr glaubwürdiges Laboratorium aus dem Salon gemacht […]“40 Im Rechenschaftsbericht an seinen Bruder Max spricht Warburg 1927 in der Sache selbstbewusst von seinem Bilderatlas, der in „Bilderreihen den Eintritt des antikisierenden Idealstiles in die weltliche italienische Kunst überzeugend nachweist“.41 Der Wissenschaftler Warburg arbeitete im Medium der Ausstellung an seinen Fragestellungen oder hielt im kleinen Kreise Vorträge innerhalb der für diesen Zweck kurzfristig aufgebauten Bilderreihen. Die Wissenschaftshistorikerin Anke te Heesen spricht vom Mnemosyne Bilderatlas als einer „Exposition Imaginaire“, in der Warburg einen „Gedankengang“ ausstellen und wieder verwerfen konnte.42 Verstand Warburg die Bilderreihen als Instrument einer Forschungsmethode, mit der er Versuchsanordnungen testen und weiterentwickeln konnte? Anke te Heesen argumentiert mit dem Schweizer Architekturhistoriker Sigfried Giedion, der 1928 den „Überblick“, die „Nebeneinanderstellung“, den „Vergleich“ als Merkmale einer Ausstellung aufzählt, wobei mit dem Begriff auch die „Darstellung einer Lehre“ gemeint sein könne.43


Warburg war mit Sicherheit kein Ausstellungsmacher. Er hat sich für Museen, Bibliotheken, Archive und deren Arbeit interessiert, nämlich das Dokumentieren, Bewahren, Verstehen und Vermitteln einer keineswegs linearen Zivilisationsgeschichte. In Warburg einen verkappten Ausstellungsmacher zu sehen, wie dies Werner Hofmann im eingangs erwähnten Vortrag tat, war dennoch im ausgehenden 20. Jahrhundert nicht ganz falsch, da sich die Erwartungen an Ausstellungen verändert hatten. Neben den Ausstellungsmacher trat die Figur des Kurators, der Kunstwerke und Dokumente im Hinblick auf ihre öffentliche Rezeptionsfähigkeit auswählt und somit weniger an kennerschaftlicher Arbeit mit Originalen interessiert ist als an der Visualisierung von Diskursen. Kuratoren befassen sich mit Philosophemen, die sich mit und entlang von Kunst erzeugen lassen. Der Ausstellungsmacher als Kurator hat einige Verwandtschaft mit Warburg und seiner bildwissenschaftlichen Praxis. Man könnte Warburg mit Edith Doove als einen Kurator „avant la lettre“ bezeichnen, vor allem im Hinblick auf seine während der Arbeit am Bilderatlas erprobte Praxis.44


Der junge Aby Warburg war als Gelehrter wahrgenommen worden, der kunsthistorische Forschung und bildungspolitische Anliegen öffentlich vertrat. 1909 setzte er sich dafür ein, dass die Hamburger Bürgerschaft für die in der Hamburger Kunsthalle untergebrachten Gipse einen Archäologen als „Lehrmittelsammlungsdirektor“ berufe, „der die Verantwortung für die Sammlung von Gipsabgüssen übernimmt, die durch verschiedene Schenkungen seit 1850 ins Staatsbesitz gekommen sind“.45 Eine Anstellung an der Hamburger Kunsthalle, die ihm angeboten wurde, lehnte er ab. Im Zentrum seiner Interessen standen damals Forschung und Lehre, kleinere kuratorische Experimente jener Jahre sind in diesem Zusammenhang zu sehen. Es handelte sich um marginale Ereignisse, die erst in Kenntnis der späteren Bilderreihen und des Bilderatlas, der heute den Blick auf Warburg jedenfalls im zeitgenössischen Kunstdiskurs prägt, an Bedeutung gewinnen. 1905 kuratierte er eine Albrecht Dürer-Ausstellung im Hamburger Volksheim, einer als Verein organisierten Einrichtung für die Arbeiterbildung. Christiane Brosius, die sich mit Warburgs Bildungsbegriff beschäftigt hat, schreibt: „In Hamburg etwa konzipierte und realisierte Warburg eine aufwendige Dürer-Ausstellung für das Volksheim, hielt an der Universität Vorlesungen und vor Arbeitern Bildungsvorträge über Kunst. Er veranstaltete Seminare, die er mit Übungen vor den Originalen im Museum verband, und organisierte die ‚Akademischen Ferienkurse zu Hamburg’, die eine Art Vorreiter der heutigen Volkshochschulen waren.“46 Obschon er in seinem Text „Die Bilderausstellungen des Volksheims“ (1907) die Verwendung von Reproduktionen für die Kunstvermittlung selbstkritisch befragt, belegen die frühen kunstpädagogischen Projekte, dass sich schon der junge Warburg für die Entwicklungs- und Wirkungsgeschichte der Kunst interessierte, für deren Darstellung Reproduktionen ebenso dienlich sein konnten wie Originale.



Warburg und Alexander Dorner


Am Beispiel der kuratorischen Arbeit des Kunsthistorikers Alexander Dorner (1893–1957) am Provinzialmuseum Hannover 1919–1936 und ab 1938 am Museum der Rhodes Island School of Design in Providence (USA) lässt sich zeigen, wie grundlegend sich Kunstvermittlung und Museumsarbeit in der frühen Moderne veränderten. 1923 wurde Dorner, dessen frühe Schriften die Bibliothek Warburg besitzt, die Leitung des Landesmuseums Hannover übertragen, dessen Sammlung er nicht nur ergänzte und erweiterte, sondern auch neu ordnete.47 War es bis dahin üblich, die Bestände möglichst vollständig und nach Epochen auszustellen, so nahm sich Dorner vor, anhand von ausgewählten Werken der Kunst und Gegenständen der Kultur unter Beibehaltung der Chronologie das Sehen und seine Veränderungen durch die Epochen darzustellen. Jeder Saal wurde durch die Farbgebung in eine bestimmte Stimmung getaucht: Die Malerei des Spätmittelalters war auf Wänden in tiefem Rot ausgestellt, der Fussboden mit schwarzem Linoleum ausgelegt. Im Saal der Renaissance war eine Auswahl an Skulpturen gegen Wände in Weiss und hellem Grau gesetzt, um die „Mittelstellung zwischen den lichten Farben der späten Gotik und der Klarheit des Quattrocento“ zu zeigen. Dorner sprach von „Atmosphären-Räumen“. Die Neuinstallation der Sammlung am Landesmuseum Hannover fand ihren Höhepunkt in der für die Gegenwartskunst gewählten Ausstellungsform: Dorner entwickelte und realisierte mit dem russischen Konstruktivisten El Lissitzky (1890–1941) das „Abstrakte Kabinett“ und arbeitete mit László Moholy-Nagy (1895–1946), dem späteren Begründer des New Bauhaus in Chicago, an einem nie realisierten „Raum der Gegenwart“, welcher der zeitgenössischen Kunst, insbesondere dem bewegten Bild, gewidmet sein sollte. Er versuchte, das Museum einem neuen Besuchersegment zu öffnen. Es sollte sich nicht mehr in erster Linie an den Kunstkenner richten, sondern an den bildungshungrigen Kunstliebhaber, mit dem Ziel, dass dieser im Museum „physisch und geistig am Werden der modernen Wirklichkeit aktiven Anteil“ nehmen kann.48 Indem er die Ausstellungen in Zusammenarbeit mit den Künstlern konzipierte, unternahm Dorner die ersten Schritte in Richtung einer Präsentationsform, die selbst als Kunstwerk wahrgenommen werden will.49


In die Wände des mit El Lissitzky entwickelten und verwirklichten Raums für abstrakte Kunst beispielsweise waren „schmale Zinnstreifen eingelassen, die rechtwinklig zur Wandfläche standen. Da diese Streifen auf der einen Seite schwarz bemalt waren, auf der anderen grau und weiß an den Kanten, änderte die Wand ihren Ausdruck mit jedem Schritt des Beschauers. Die Tonskala war in jedem Teil des Raumes verschieden. Daher kann man sagen, dass diese Konstruktion eine überräumliche Umgebung für die ungerahmten Kompositionen schuf. Diese optische Beweglichkeit setzte sich darin fort, daß eine Skulptur Archipenkos vor einen Spiegel gestellt wurde. Der Spiegel warf die Kehrseite der Metallstreifen zurück, nicht die Seite, die dem Beschauer zugewendet war. Auf diese Weise setzte der Spiegeleffekt die Wandkonstruktion derart fort, daß die Konstruktion ihre Identität durch diese Verwandlungen änderte.“50


Das Zeigen als eine Funktion des Gezeigten zu verstehen und in der Ausstellung zu thematisieren, ist eine Idee der Moderne. Der von dem britischen Architekten Joan Soane (1753–1837) für seine eigene Sammlung entworfene und 1824 gebaute „Picture Room“ ist eine faszinierende Vorwegnahme dieses Gedankens.51 Es handelt sich um ein kleines Kaminzimmer in seinem Londoner Domizil, das seit dem frühen 19. Jahrhundert als Museum öffentlich zugänglich ist. Soane verfügte 1833, dass sein Wohnhaus und die angrenzenden Gebäude, in denen seine umfangreiche Sammlung von Kunstwerken, Architekturmodellen, Dokumenten und Abgüssen in von ihm dafür gestalteten und eingerichteten Räumen ausgestellt sind, nach seinem Tod in ein Museum überführt werden sollten, dessen Aufgabe es seither ist, seinen privaten Lebensraum und seine Sammlung in unveränderter Form zu erhalten und zu vermitteln. Der erwähnte Galerieraum, in dem über dem Kamin gegenüber der Tür das Gemälde Riva degli Schiavoni (1736) von Canaletto als Blickfang hängt, ist ein kleiner Saal mit eingebauten, niederen und geschlossenen Bücherregalen und drei Wänden aus Holz, die sich wie grosse Flügeltüren aufklappen lassen und dabei den Blick freigeben auf eine zweite, verborgene Wand, auf der ebenfalls Gemälde ausgestellt sind. In einem Fall lässt sich auch die zweite Wand öffnen, sodass der Blick durch ein Fenster in den Innenhof (The Monk’s Yard) fällt sowie auf den im darunterliegenden Stockwerk liegenden Salon (The Monk’s Parlour). Soane beschrieb seinen Galerieraum als Lösung, um auf kleinstem Raum eine umfangreiche Sammlung unterzubringen und, in unserem Zusammenhang besonders bemerkenswert, Gemälde aus unterschiedlichen Blickwinkeln wahrnehmen zu können. Von Soane stammt auch der Entwurf für die ausserhalb von London 1817 gebaute Dulwich Picture Gallery. Es handelt sich um das erste Gebäude, das als Kunstmuseum konzipiert wurde.


Dorner verstand unter Kunstgeschichte die Darstellung und eine sowohl diskursive wie auch visuelle Vermittlung der Evolution des menschlichen Sehens, das, so deutete er den Entwicklungsstand der Kunst seiner Zeit, nach der Überwindung der Kunst als Arbeit an der Form zu einer Kunst der sozialen Verantwortung führen sollte. Im „Abstrakten Kabinett“ verlor die Wand, wie Julia Burbulla festgestellt hat, „ihre tragende und präsentierende Rolle“, Dokumente zur Alltagskultur wurden in Tischvitrinen ausgestellt: „An dieser Stelle relativierte sich die eigentliche Grenze zwischen Bibliothek und Sammlung. Objekte der Alltagskultur vermischten sich mit künstlerischen Originalen wie Repliken. Dieses Ordnungsprinzip ist das der Institution Bibliothek. Sie sieht von jeher dieses Miteinander vor. Die Aura des Originals oder die Isolation der Hochkultur von der Alltagskultur kennt sie nicht. Mit seinem Museumskonzept näherte sich Dorner diesem Ideal an und ergänzte das traditionelle Museum um andere Präsentations-, Sammlungs- wie Wissenskulturen.“52


Dorner geriet gegen Ende der Weimarer Republik und als Folge der schnell erstarkenden nationalsozialistischen Bewegung unter Rechtfertigungsdruck. 1937 verliess er Deutschland und fand in den Vereinigten Staaten die Wirkungsstätte, an der er vieles ausführen konnte, was er schon in den 1920er-Jahren zur Debatte gestellt hatte, beispielsweise das Abspielen epochenspezifischer Musik im Ausstellungssaal oder die kulturgeschichtliche Kontextualisierung der Schaustücke durch Leuchtbilder in den Fensteröffnungen. Dorner plädierte in Ästhetik und Kunstgeschichte für das „Aufgeben aller zeitlosen Vorstellungen“ und für einen „neuen Typus des Kunstmuseums“. Dieses würde seine Bestände zeigen „als Produkt einer relativ kurzen Entwicklungsphase und als Teil einer bestimmten und begrenzten Wirklichkeit. Es würde also von selbst dazu übergehen, das Wachstum der Wirklichkeit darzustellen und die visuelle Produktion in diese einzubetten.“53 Die Neuordnung der Sammlung müsse den Bedürfnissen der Gegenwart folgen, führte Dorner 1947 weiter aus, weil diese das Einzige seien, „was dem Kunstmuseum und der hinter ihm stehenden Ästhetik und Kunstgeschichte Daseinsberechtigung gibt“.54 Zu erkennen, dass in dieser Hinsicht Reproduktionen „genauso wirksam waren wie ihre Originale“55, war die Konsequenz seines auf den Entwicklungsprozess des Sehens ausgerichteten Denkens. In dem mit Moholy-Nagy für Hannover geplanten „Raum der Gegenwart“ scheinen solche Ideen auf. Fotografie und Film beanspruchen dort neben Moholy-Nagys Lichtmaschinen zur Erzeugung abstrakter farbiger Lichtspiele am meisten Platz. In Fotografien sollten in diesem Saal die modernen Tendenzen in Architektur und Produktegestaltung ausführlich dokumentiert werden.


1929, im Todesjahr Aby Warburgs, hatte Dorner für die Kestner-Gesellschaft in Hannover die Ausstellung Original und Facsimile vorbereitet, in der er Originalgrafiken aus unterschiedlichen Epochen Seite an Seite mit Faksimiles dieser Arbeiten zeigte. Absicht war es, dem Besucher vor Augen zu führen, wie schwierig oder gar unmöglich die Unterscheidung selbst für das geschulte Auge sein kann. Wie Walter Benjamin, so sieht auch Dorner, der sich in jenen Jahren ebenfalls intensiv mit Fotografie und Film auseinandersetzte, präzise die sich aus der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks ergebenden Konsequenzen. Mit seinem Freund Buckminster Fuller (1885–1983) entwickelte Dorner in den 1950er-Jahren ein Modellmuseum, das die Entwicklung der Kunst vom Paläolithikum bis ins 20. Jahrhundert visualisieren und didaktisches Material für die Besucherschulung bereitstellen sollte. Die von Fuller vorgeschlagene Leichtbauweise entsprach der neuen Museumsform, die im Unterschied zum klassischen Kunstmuseum keinerlei Gemeinsamkeiten mehr mit einem sakralen Bau aufweist, da das „Museum der Zukunft“ ausschliesslich im Dienst der Vermittlung stehen sollte. Die beiden Pioniere planten eine „Kette von Facsimilemuseen“ analog zu den damals in den Vereinigten Staaten entstehenden Einkaufszentren. 


Der späte Warburg orientierte sich nicht an neuen Museumskonzeptionen, beteiligte sich nicht an den Reformdiskussionen der Museumsleiter und hatte keinen Austausch mit Künstlern, die ebenfalls Bilderreihen entwickelten. Impulse gingen von ihm in den 1920er-Jahren keine aus. Die Wirkungsgeschichte des Bilderatlas setzte erst mit zeitlicher Verzögerung ein. Die Fotografie begeisterte Warburg als technisches Reproduktionsmedium, als Übertragungsverfahren, wie es erst einige Jahre nach seinem Tod von Walter Benjamin dargestellt werden sollte. Als ein eigenes Medium der Kunst interessierte ihn die Fotografie nicht.56 Benjamin H. D. Buchloh kritisiert Warburgs (und Benjamins) „Medienoptimismus“ und spricht von seiner „Methode als einer archivalischen Montage“, die nicht erkennen lasse, ob sich Warburg wie die Künstler der Avantgarde darüber im Klaren gewesen sei, dass schon allein die Verwendung fotografischer Kunstreproduktionen, unabhängig davon, wie diese eingesetzt würden, einen Prozess der Bedeutungstransformation in Gang setze.57


Das Beispiel Dorner zeigt, in welche Richtung sich die Arbeit einer jüngeren Generation von Kunsthistorikern und Museumsleitern entwickeln konnte. Dorner hatte nicht nur die wichtige Rolle und die Bedeutung von Fotografie und Film als Reproduktionsmedien für die Vermittlung von Kunst im Museum erkannt und in seinen Ausstellungen berücksichtigt, sondern durch die Nähe zur zeitgenössischen Kunst, wie die Zusammenarbeit mit Moholy-Nagy nahelegt, in Fotografie und Film die neuen, eigenständigen künstlerischen Medien gesehen, als welche sich diese in der Tat damals gerade etablierten.




  1. Vgl. Calvin Tomkins, Duchamp: A Biography, London 1997, bes. S. 116–142.
  2. Vgl. Milton W. Brown, The Story of the Armory Show, New York 1988, bes. S. 133ff. und 264–265.
  3. Aby M. Warburg, „Luftschiff und Tauchboot in der mittelalterlichen Vorstellungswelt“ (1913), in: Aby Warburg, Werke in einem Band. Auf der Grundlage der Manuskripte und Handexemplare herausgegeben und kommentiert von Martin Treml, Sigrid Weigel und Perdita Ladwig. Unter Mitarbeit von Susanne Hetzer, Herbert Kopp-Oberstebrink und Christina Oberstebrink, Berlin 2010, S. 415–423. Der Aufsatz wurde 1932 in die Gesammelten Schriften aufgenommen: Aby Warburg, Die Erneuerung der Heidnischen Antike. Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Geschichte der europäischen Renaissance, hg. von Gertrud Bing, Leipzig/Berlin 1932 (= Gesammelte Schriften, hg. von der Bibliothek Warburg, Bd. 1), S. 241–249. 
  4. Warburg 1913 (wie Anm. 3), S. 421.
  5. Ebd.
  6. Vgl. dazu Robert Galitz und Brita Reimers (Hg.), Aby M. Warburg, „Ekstatische Nymphe ... trauernder Flussgott“: Portrait eines Gelehrten, Hamburg 1995; und zuletzt Kurt W. Forster, Aby Warburgs Kulturwissenschaft: Ein Blick in die Abgründe der Bilder, Berlin 2018.
  7. WIA (Warburg Institute Archive, London), III. 88.7.1., Blatt 5, „Institut für methodische Grenzüberschreitung“, lecture held at Heilwigstrasse 114, 27/12/1915, to members of the Berlin Art History Seminar, with notes of those present, including Goldschmidt, Pauli, Westphal, Heise, Kauffmann and Panofsky, MS, 33 fols.
  8. Aby Warburg, „Italienische Kunst und internationale Astrologie im Palazzo Schifanoja zu Ferrara (1912), in: Warburg 2010 (wie Anm. 3), S. 396.
  9. Ebd., S. 373.
  10. Warburg 1913 (wie Anm. 3), S. 422.
  11. Vgl. im WIA, GC (General Correspondence), das Schreiben von Paul Cassirer an Aby Warburg, 12. Januar 1907.
  12. Vgl. im WIA, FC (Family Correspondence), den Brief von Warburg an Mary Warburg, 1. April 1910, sowie an Fritz Saxl, 16. April 1928.
  13. WIA, GC, den Brief von Warburg an die Geschäftsstelle der Wochenschrift Der Sturm, Berlin, 1. Juli 1912.
  14. Vgl. im WIA, GC, den Brief von Warburg an Felix von Eckardt, 11. Januar 1917.
  15. Auf die Verwandtschaft des Bildverständnisses von Warburg und Duchamp hat schon Werner Hofmann hingewiesen in seinem Aufsatz „Die Menschenrechte des Auges“, in: Werner Hofmann, Georg Syamken und Martin Warnke, Die Menschenrechte des Auges: Über Aby Warburg, Frankfurt a. M. 1980, S. 102–104.
  16. Mnemosyne Bilderatlas, Tafel 77, in: Aby Warburg, Der Bilderatlas Mnemosyne, hg. von Martin Warnke und Claudia Brink, Berlin 2000 (= Gesammelte Schriften [Studienausgabe], Bd. 2,1).
  17. Interview von Tobia Bezzola und Roman Kurzmeyer mit Harald Szeemann, 18. März 1996. Transkription im Archiv des Verfassers.
  18. Hans R. Hahnloser, Villard de Honnecourt. Kritische Gesamtausgabe des Bauhüttenbuches ms. fr 19093 der Pariser Nationalbibliothek, Wien 1935.
  19. Gertrud Bing, „Vorwort“, in: Warburg 1932 (wie Anm. 3), S. xi.
  20. Ebd.
  21. Harald Szeemann, a-Historische klanken / a-Historical soundings. De keuze van Harald Szeemann uit de collecties van Museum Boymans-van Beuningen / Harald Szeemann’s choice from the collections of the Boymans-van Beuningen Museum, Museum Boymans-van Beuningen Rotterdam, 1988. Der deutsche Originaltext ist abgedruckt in: Harald Szeemann, Zeitlos auf Zeit – Das Museum der Obsessionen, Regensburg 1994, S. 52–56.
  22. Harald Szeemann, „Museum der Obsessionen“ (erste Fassung 1975), in: Museum der Obsessionen. von / über / zu / mit Harald Szeemann, Berlin 1981, S. 136.
  23. Szeemann 1994 (wie Anm. 21), S. 52.
  24. Auf dem Cover des Katalogs abgebildet ist Man Rays Arbeit The Enigma of Isidore Ducasse empaquetage (1920/1971, eine in eine Wolldecke eingeschlagene, verschnürte und mit „Nicht stören / Do not disturb / Ne pas déranger“ beschriftete Nähmaschine.
  25. Szeemann 1994 (wie Anm. 21), S. 55.
  26. Ebd.
  27. Als Zielsetzung von Szeemanns Agentur für geistige Gastarbeit, die sich auf „das Medium der temporären Ausstellung“ spezialisierte, bezeichnet Søren Grammel die produktionsästhetische Autonomie des Kurators. Dieser vermittle „wie ein privilegierter Betrachter“ zwischen Werk und Publikum. Grammel fragt, ob „im Fall der auktorialen Ausstellung die individuelle Perspektive des Kurators gegenüber dem Betrachter transparenter artikuliert und damit auch kritikfähiger wird, als es die scheinbar kompromisslose wissenschaftliche Objektivität der institutionell produzierten Ausstellung erlaubt“. Søren Grammel, Ausstellungsautorschaft. Die Konstruktion der auktorialen Position des Kurators bei Harald Szeemann. Eine Mikroanalyse, Frankfurt a. M. 2005, passim.
  28. Ernst H. Gombrich, Aby Warburg. Eine intellektuelle Biographie, Frankfurt a. M. 1981, S. 436.
  29. John M. Krois, „Die Universalität der Pathosformeln. Der Leib als Symbolmedium“, in: Bildkörper und Körperschema. Schriften zur Verkörperungstheorie ikonischer Formen, hg. von Horst Bredekamp und Marion Lauschke, Berlin 2011, S. 76.
  30. Aby Warburg, „Amerikanische Chap-Books“ (1897), in: Warburg 1932 (wie Anm. 3), S. 569–577. Heike Gfrereis, „Kobold im Reich der Gespenster. Aby Warburs Aufsatz über amerikanische Chap-Books“, in: Isaiah Berlin. Zeitschrift für Ideengeschichte, Heft I/4, 2007, S. 97–112.
  31. Warburg 1897 (wie Anm. 28), S. 577.
  32. Zur Genese der „Pathosformel“ vgl. die Vorbemerkung der Herausgeber in: Warburg 2010 (wie Anm. 3), S. 31–38, sowie Martin Warnke, „Aby Warburg“, in: Schütteln Sie den Vasari ....: Kunsthistorische Profile, hg. von Matthias Bormuth, Göttingen 2017, S. 121-153.
  33. Aby Warburg, Tagebuch der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg mit Einträgen von Gertrud Bing und Fritz Saxl, hg. von Karen Michels und Charlotte Schoell-Glass, Berlin 2001, S. 120. Zu den Bilderreihen vgl. Aby Warburg, Gesammelte Schriften, Band II.2: Bilderreihen und Ausstellungen, hg. von Uwe Fleckner und Isabella Woldt, Berlin 2012.
  34. Thomas Hensel, Wie aus der Kunstgeschichte eine Bildwissenschaft wurde. Aby Warburgs Graphien, Berlin 2011, S. 182.
  35. Die Rekonstruktion der Transmedialen Gesellschaft daedalus in Wien befindet sich heute in der Sammlung der Albertina.
  36. Warburg 2000 (wie Anm. 16).
  37. Axel Heil, Roberto Ohrt, Aby Warburg. Mnemosyne Bilderatlas. Rekonstruktion-Kommentar-Aktualisierung, Ausst.-Kat. ZKM Karlsruhe 2016, S. 5, sowie Gespräch des Autors mit Roberto Ohrt in der Tate Modern in London, 4. Dezember 2016.
  38. Werner Hofmann, „Der Mnemosyne-Atlas. Zu Warburgs Konstellationen“, in: Galitz/Reimers (Hg.) 1995 (wie Anm. 6), S. 172.
  39. WIA, GC, Brief von Aby Warburg an Fritz Saxl, 11. Februar 1929.
  40. WIA, FC, Brief von Aby an Mary Warburg, 10. Mai 1929.
  41. WIA, FC, Rechenschaftsbericht vom Mai 1927 von Aby an Max Warburg.
  42. Anke te Heesen, „Exposition Imaginaire. Über die Stellwand bei Aby Warburg“, in: Fotogeschichte, 112, 2009 (= Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie), S. 55–64.
  43. Ebd.
  44. Edith Doove, „Exploring the Curatorial as Creative Act – Part I Hidden Similarities“, in: Transtechnology Research-Reader 2011, Plymouth 2012, S. 1.
  45. WIA, III 72.2.7. Zweiter Bericht ... of the Bürgerschaft meeting of 26/05/1909, printed report, containing Warburg’s submission in Anlage 14, S. 45.
  46. Christiane Brosius, Kunst als Denkraum. Zum Bildungsbegriff von Aby Warburg, Pfaffenweiler 1997, S. 8f.
  47. Vgl. zu Leben und Werk Samuel Cauman, Das lebende Museum: Erfahrungen eines Kunsthistorikers und Museumsdirektors: Alexander Dorner, Hannover 1960; Dorner lud Warburg 1927 ein, für die Festschrift Paul Schubring (1869–1935) einen Beitrag zu schreiben, Warburg lehnte aus Zeitgründen ab; vgl. WIA, GC, Schreiben an Dorner vom 3. Dezember 1927.
  48. Alexander Dorner, Überwindung der „Kunst“, Hannover 1959, S. 20. Die amerikanische Originalausgabe erschien 1947 unter dem Titel The Way Beyond Art in New York.
  49. Siehe zu El Lissitzkys Bildbegriff und seinen architektonischen und künstlerischen Vorschlägen, das Zeigen und das Gezeigte ununterscheidbar miteinander zu verknüpfen, Simon Baier, „Metanoia des Bildes. El Lissitzky 1920–28“, in: Gottfried Boehm, Sebastian Egenhofer und Christian Spies (Hg.), Zeigen. Die Rhetorik des Sichtbaren, München 2010, S. 315–334.
  50. Dorner 1959 (wie Anm. 48), S. 144.
  51. Vgl. Sir John Soane’s Museum. A Complete Description, London 2014, S. 21–22.
  52. Julia Burbulla, Kunstgeschichte nach dem Spatial Turn. Eine Wiederentdeckung mit Kant, Panofsky und Dorner, Bielefeld 2015, S. 236–238.
  53. Dorner 1959 (wie Anm. 48), S. 179.
  54. Ebd., S. 181.
  55. Cauman 1960 (wie Anm. 47), S. 120.
  56. Zur Frage des Kunstcharakters der Fotografie vgl. Rolf H. Krauss, Walter Benjamin und der neue Blick auf die Photographie, Ostfildern 1998, bes. S. 34–38.
  57. Benjamin H. D. Buchloh, „Atlas. Warburgs Vorbild? Das Ende der Collage/Fotomontage im Nachkriegseuropa“, in: Deep Storage. Arsenale der Erinnerung, hg. von Ingrid Schaffner, Ausst.-Kat. Haus der Kunst, München u.a., München 1997, S. 50–60. Dies gilt auch für das „Musée Imaginaire“ von André Malraux (1901–1976), eine populäre Geschichte der Weltkunst als Kunstbuch, das Walter Grasskamp als moderne Realisierung der alten Idee des „Papiermuseums“ bezeichnet und mit Warburgs Bilderatlas in Verbindung bringt; vgl. Walter Grasskamp, André Malraux und das imaginäre Museum. Die Weltkunst im Salon, München 2014, S. 159.

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